Falko
Drossmann
Universität der Bundeswehr Hamburg
Falko.Drossmann@unibw-hamburg.de
Hamburg,08.03.00
Das
Politische System der Bundesrepublik Deutschland - Eine Einführung
Prof. Lutz R. Reuter
WT 2000
Hausarbeit
Der
Bundespräsident
Gliederung:
1.
Allgemeines S.3
2. Gegenüberstellung: Reichspräsident nach der Weimarer
Reichsverfassung und Bundespräsident nach dem Grundgesetz S.5
3. Erwerb und Verlust des Amtes, Stellvertretung S.8
4. Rechtsstellung des Bundespräsidenten S.10
5. Aufgaben und Befugnisse des Bundespräsidenten S.12
5.1. Völkerrechtliche Vertretung
5.2. Staatsrechtliche Funktionen
5.3. Sonstige Aufgaben
6. Beurteilung und Ausschau S.17
1.
Allgemeines
Unsere
Staatsform ist die einer Republik. Das bedeutet, daß an der Spitze
unseres Staates ein Präsident - und kein Monarch - steht und das die
Bundesrepublik Deutschland durch den Inhaber dieses Amtes nach außen
hin repräsentiert wird.
Generell wird mit der Bezeichnung als Staatspräsident (in diesem Fall
Bundespräsident) lediglich zum Ausdruck gebracht, daß der Amtsträger
das Staatsoberhaupt des jeweiligen Landes ist. Über seine politischen
Machtbefugnisse und Wirkungsmöglichkeiten ist damit noch nichts
ausgesagt. Ob seine Stellung stark - vielleicht sogar diktatorisch -
oder weniger stark ist, läßt sich erst bei näherer Betrachtung des
Regierungssystems feststellen, vor allem in Hinblick auf die Frage,
wie das Verhältnis zwischen dem Staatsoberhaupt und den übrigen
Staatsorganen ausgestaltet ist.
In den westlichen Demokratien spricht man von einem präsidentiellen
oder parlamentarischen Regierungssystem. Das erstere wird angeführt,
wenn die politische Stellung des Präsidenten besonders stark ist. Als
Beispiel dienen hier die Vereinigten Staaten von Amerika, weil der Präsident
hier in Personalunion sowohl das Amt des Staatsoberhauptes als auch
das des Regierungschefs innehat und insbesondere in Krisenzeiten vom
Parlament (Kongreß) weitgehend unabhängig ist; und Frankreich, weil
hier der Präsident, und nicht der Ministerpräsident als
Regierungschef, die Richtlinien der Politik bestimmt. Ebenfalls kann
hier die Weimarer Republik als Beispiel angeführt werden, weil in ihr
der Präsident starken Einfluß auf das Parlament und die
Regierungsbildung hatte, Oberbefehlshaber der Reichswehr war und in
Krisenzeiten mit Notverordnungen regieren konnte.
Das zweite hier zu erwähnende Regierungssystem ist das
parlamentarische. Es trifft zu, wenn die politische Stellung des Präsidenten
im Vergleich zum Parlament und zur Regierung relativ schwach
ausgestaltet ist und sich sein Amt als Staatsoberhaupt vornehmlich auf
Repräsentationsaufgaben beschränkt. Beispiele sollen hier sein die
Bundesrepublik Deutschland, Österreich und Italien. In Einzelfällen
wird überhaupt darauf verzichtet, für das Amt des Staatsoberhauptes
ein eigenes Verfassungsorgan einzurichten, so zum Beispiel in der
Schweiz, wo der Bundesrat als Regierungsorgan auch die Funktion des
Staatsoberhauptes wahrnimmt und die völkerrechtliche Repräsentation
durch dessen jährlich wechselnden Vorsitzenden erfolgt; mithin in den
Ländern der Bundesrepublik Deutschland, in denen der Ministerpräsident
zugleich die Aufgaben des Staatsoberhauptes wahrnimmt.
,,Zwischen dem System der Präsidentschaftsrepublik und einer
Parlamentsherrschaft ohne Staatsoberhaupt gibt es in Geschichte und
Gegenwart eine Fülle von Mischformen. Der Präsident wird in diesen
Mischformen um so mehr zum reinen Repräsentanten, desto stärker das
Parlament und die von ihm abhängige Regierung sind."1
Um nun die Stellung des Bundespräsidenten in der Bundesrepublik
Deutschland hinlänglich erläutern und funktional bestimmen zu können,
bedarf es im Vorfeld die Frage zu klären, warum ein parlamentarischer
Staat überhaupt ein Oberhaupt benötigt. Dies` ist überwiegend
historisch zu erklären. Die Rolle des Staatsoberhauptes ist
,,historisch aus der Tradition des Monarchen in der konstitutionellen
Monarchie und strukturell als ein Gegengewicht zum Regierungschef
sowie als Stabilisator des parlamentarischen Prozesses zu
verstehen."2 Gerade anhand
Deutschlands ist eine geeignete Beschreibung verschiedener Möglichkeiten
eines Staatsoberhauptes möglich. ,,Den Anfang machte die monarchische
Verfassung des Bismarck - Reiches, Bezugspunkt für die
Verfassungsdiskussion in der deutschen Republik. (...)Diese
staatsrechtliche Konstruktion bildete den Ansatzpunkt für die
Weimarer Verfassungsväter.3
2.
Gegenüberstellung: Reichspräsident nach der Weimarer
Reichsverfassung und Bundespräsident nach dem Grundgesetz
Die Weimarer Reichsverfassung hatte Züge des parlamentarischen und
des präsidentiellen Regierungssystems enthalten. Da man dem damals
kaum geübten Parlamentarismus skeptisch gegenüberstand, hatte man
das Amt des Reichspräsidenten mit sehr starken Vollmachten
ausgestattet. ,,Das Ergebnis war ein ,,Formalkompromiß" (Carlo
Schmitt), ein Verfassungssystem, daß zwar ein Parlamentarisches
Regierungssystem einleitete, dieses aber mit Elementen des präsidentiellen
anreicherte."4 Treffend wurde
diese Kombination rückblickend als ,,Ersatzkaisertum"5
bezeichnet. Dieses führte während der Krisenjahre der Republik zu
einer Präsidialdiktatur und ,,(...)leitete die Machtergreifung
Hitlers verfassungspolitisch ein"6.
Die Schöpfer des Grundgesetzes wollten einer Wiederholung der
Weimarer Ereignisse auch dadurch vorbeugen, daß sie von vornherein
vorsahen, das Amt des Bundespräsidenten grundlegend anders zu
gestalten. In den Entstehungsjahren der Bundesrepublik Deutschland
herrschte ein weitgehender Grundkonsens darüber, daß eine starke Präsidentenpersönlichkeit
abzulehnen sei.7 Das entsprach
durchaus auch den Vorstellungen der Alliierten. So hatte der britische
Außenminister Bevin 1947 formuliert, daß ,,die Rechte und Pflichten
des Präsidenten auf diejenigen eines konstitutionellen
Staatsoberhauptes ohne selbstständige Exekutivgewalt begrenzt
sein"8 sollen. Das Amt des
Bundespräsidenten sollte also mit weniger Machtbefugnis ausgestattet
werden. Es wurde sogar erwogen, von der Institution des Präsidenten
vorläufig ganz abzusehen und statt dessen die notwendigen Repräsentationsaufgaben
von einem Bundeskanzler sowie den Präsidenten des Bundestages und
Bundesrates wahrnehmen zu lassen. Dieser Absicht lag die Vorstellung
zugrunde, daß ein Bundespräsident als Ausdruck nationalstaatlicher
Souveränität die Wiedervereinigung zusätzlich erschwere. Schließlich
wurde das Amt des Bundespräsidenten doch in das Grundgesetz
aufgenommen, aber mit einer starken Entmachtung des jeweiligen Amtsträgers.
Über die wesentlichen Unterschiede zwischen den Ämtern des Reichs-
und Bundespräsidenten soll folgender Vergleich aufklären.
Der
Reichspräsident wurde durch unmittelbare Wahl vom Volk gewählt,
seine Amtszeit betrug sieben Jahre. Er war Oberbefehlshaber der
gesamten Wehrmacht, konnte aus eigener Initiative den Reichstag auflösen
und besaß maßgebenden Einfluß auf Auswahl und Politik des
Reichskanzlers. Er konnte in das Gesetzgebungsverfahren eingreifen,
indem er unter bestimmten Voraussetzungen vom Reichstag beschlossene
Gesetze einem Volksentscheid vorlegte. Er war im Ausnahmezustand mit
außerordentlichen Vollmachten ausgestattet, indem er vorübergehend
Grundrechte außer Kraft setzten und Notverordnungen mit Gesetzeskraft
erlassen konnte; mithin konnte er gegen widerstrebende Länder im
Reich mit Hilfe der Bewaffneten Macht die Reichsexekution durchführen.
,, Eine nicht unwesentliche Bedeutung (...) hat der Artikel 48 WRV
erlangt. Nicht nur, weil er dem Reichspräsidenten das Recht gab,
(...) die Grundrechte außer Kraft zu setzen, sondern vor allem
deshalb, weil auf ihn das Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten
gestützt wurde, das sich allmählich herausbildete. Durch eine ständige
Handhabung des Notverordnungsrechtes wurde er unter Duldung des
Reichstages und unter Billigung der höchsten deutschen Gerichte auch
zum Gesetzgebungsorgan."9
Der Bundespräsident wird von der Bundesversammlung, also nur
mittelbar durch das Volk gewählt, seine Amtszeit beträgt fünf
Jahre. Seine Befugnisse in bezug auf die Bundeswehr beschränken sich
auf die Ernennung der Offiziere und Unteroffiziere; er darf nur in
zwei im Grundgesetz genau festgelegten Ausnahmefällen den Bundestag
auflösen. Er hat nur das Recht, einen Kanzlerkandidaten
vorzuschlagen, die Richtlinien der Politik bestimmt allein der
Bundeskanzler. Der Bundespräsident kann bei einer Gesetzesvorlage,
die keine Zustimmung im Parlament findet - mit Zustimmung des
Bundesrates - den Gesetzgebungsnotstand erklären. Ein Recht wie das
sich aus Artikel 48 WRV für den Reichpräsidenten ergebende oder die
Exekution gegen Länder stehen dem Bundespräsidenten nicht zu.10
Aufgrund der geringen politischen Befugnisse des Bundespräsidenten
wird oft auch die Ansicht vertreten, er sei gar kein wirkliches
Staatsoberhaupt, sondern lediglich ,,Staatsnotar", eine
,,Galionsfigur"11 zu Repräsentationszwecken.
Tatsächlich erschöpft sich aber die Stellung des Bundespräsidenten
keineswegs allein in der Repräsentation. Er hat nach dem Grundgesetz
als Teil der Exekutivgewalt auch bestimmte Kontroll- und
Entscheidungsbefugnisse; vor allem aber -ohne direkte verfassungsmäßige
Bestimmungen- eine Ausgleichsfunktion, indem er als ,,neutrale
Kraft"12 zu Herstellung und
Sicherung des Ausgleichs unter den verschiedenen politischen Kräften
beiträgt. Das Amt des Bundespräsidenten charakterisierte Theodor
Heuss unmittelbar nach seiner Wahl 1949: ,,Ich betrachte es als Gewinn
meines Lebens im öffentlichen Sein, daß ich, um die Worte von ehedem
zu gebrauchen, auf der Rechte wie auf der Linken persönliche
Freundschaften und Vertrauensverhältnisse besaß und besitze. Das
wird so bleiben. Es mag auch darin jemand einen Mangel sehen. Aber mir
scheint, daß dieses Amt, in das ich gestellt bin, keine
Ellenbogenveranstaltung ist, sondern daß es den Sinn hat, über den Kämpfen,
die kommen, (...) als ausgleichende Kraft vorhanden zu sein."13
In einem anderen Zusammenhang äußerte Heuss einmal: ,,Ich gebe keine
Richtlinien, ich gebe Atmosphäre."14
3.
Erwerb und Verlust des Amtes, Stellvertretung
Die Wahl des Bundespräsidenten erfolgt ohne vorhergehende
parlamentarische Aussprache. Im Interesse der Würde des Amtes soll
das zukünftige Staatsoberhaupt nicht einer kritischen Personaldebatte
ausgesetzt werden. Wählbar ist (Artikel 54 Abs.1 GG) jeder Deutsche,
der das aktive Wahlrecht besitzt und das vierzigste Lebensjahr
vollendet hat. Gewählt ist der Kandidat (Artikel 54 Abs. 6 GG), der
im ersten oder zweiten Wahlgang die absolute Mehrheit oder im dritten
Wahlgang die relative Mehrheit erhält. Gewählt wird von den
Mitgliedern der Bundesversammlung. Dieses Gremium tritt nur zur Wahl
des Bundespräsidenten zusammen und besteht je zur Hälfte aus
Mitgliedern des Deutschen Bundestages und aus Entsandten der Länderparlamente.
Erworben wird das Amt mit der Annahmeerklärung des Gewählten, jedoch
nicht vor Ablauf der Amtszeit seines Vorgängers. Die Amtszeit beträgt
fünf Jahre. Eine anschließende Wiederwahl ist nur einmal möglich.
Dagegen ist eine spätere Wiederwahl eines ehemaligen Bundespräsidenten
zulässig.15 Um dem über alle
Parteigrenzen hinweg geachteten und überaus populären Bundespräsidenten
Heuss über dessen zweite Amtszeit hinaus ein weiteres Verbleiben im
Amt zu ermöglichen, wurde seinerzeit eine Verfassungsänderung
erwogen, die das Verbot der anschließenden Wiederwahl aufheben oder
eine Amtsverlängerung auf sieben Jahre vorsehen sollte. Dieser
Gedanke wurde aber nicht weiter verfolgt, da der Bundespräsident
selbst sich der Erörterung entzog mit dem Hinweis, man dürfe nicht
einer einzelnen Person wegen die Verfassung ändern.
Der Bundespräsident ist weder der Bundesversammlung, die ihn gewählt
hat, noch dem Bundestag verantwortlich und kann während seiner
Amtszeit nicht aus politischen oder sonstigen Gründen abgewählt
werden. Eine vorzeitige Beendigung des Amtes ist nur möglich durch Rücktritt
sowie durch Anklage vor dem Bundesverfassungsgericht (Artikel 61 GG).
Präsidentenklage
gem. Art.61 GG
Der
Bundespräsident muss vorsätzlich eine Bestimmung des
Grundgesetzes
oder eines anderen Bundesgesetzes
verletzt haben.
In diesen Fällen können
Bundestag
oder Bundesrat
Antrag
auf Erhebung der Anklage stellen.
Erforderlich ist hierfür ein Stimmenanteil von
einem
Viertel einem Viertel
Für
den Beschluss auf Erhebung der Anklage bedarf es der Stimmenmehrheit von
zwei
Dritteln zwei Dritteln
Die
Anklage wird von einem Beauftragten der anklagenden Körperschaft
vertreten (Art.61 Abs.1 GG). Nach Erhebung der Anklage kann das BVerfG
durch einstweilige Anordnung den Bundespräsidenten von seinem Amt
suspendieren. Stellt es die Gesetzesverletzung fest, so kann es ihn des
Amtes für verlustig erklären. Die Bestimmungen des Art.61 GG gelten für
den jeweiligen Amtsträger, also auch für den Vertreter eines
verhinderten Bundespräsidenten. Gemäß Artikel 57 Grundgesetz werden
die Befugnisse des Bundespräsidenten stellvertretend vom Präsidenten
(oder Vizepräsidenten) des Bundesrates wahrgenommen, und zwar in den Fällen
seiner Verhinderung oder der vorzeitigen Erledigung seines Amtes (durch
Tod, Amtsverlust oder -verzicht).
4.
Rechtsstellung des Bundespräsidenten
Der Bundespräsident ist dem Parteienstreit enthoben; er ist im
Wortsinne unparteiisch. Diese Funktion - im Grundgesetz nicht ausdrücklich
erwähnt, weil sie sich landläufig von selbst versteht - hat zur Folge,
dass der Bundespräsident keine unmittelbare, politisch-parlamentarische
(wohl aber eine verfassungsrechtliche) Verantwortlichkeit besitzt, so
das gegen ihn auch kein Misstrauensvotum eingesetzt werden kann. Die
Artikel 58 und speziell 82 GG bestimmen denn auch, dass seine
Anordnungen und Verfügungen - bis auf die genau bezeichneten Akte in
den Artikeln 63 und 69 Absatz 3 GG - nur Gültigkeit haben, wenn sie vom
Bundeskanzler oder dem zuständigen Ressortminister gegengezeichnet
wurden. Bei Gesetzen bedarf es gemäß § 29 der Geschäftsordnung der
Bundesregierung sogar der Gegenzeichnung des Kanzlers und des Ministers.
Zweck dieser Regelung ist, zu verhindern, dass die Handlungen des
Bundespräsidenten der Politik der Bundesregierung zuwiderlaufen, und
gleichzeitig, daß Staatsoberhaupt von einer politischen Verantwortung
freizustellen. Mit der durch die Gegenzeichnung zum Ausdruck kommenden
einvernehmlichen Haltung übernimmt die Bundesregierung diese
Verantwortung gegenüber dem Bundestag.16
Allerdings bleibt der Bundespräsident für seine Amtshandlungen
letztlich im Rahmen der Bundespräsidentenanklage gemäß Artikel 61 GG
verfassungsrechtlich verantwortlich, während die gegenzeichnenden
Regierungsmitglieder eine derartige Verantwortung nicht übernehmen,
denn es gibt ja keine Bundeskanzler- oder Ministeranklage17.
Auch der Bundespräsident unterliegt dem Grundsatz der Inkompatibilität.
Um parteipolitische Neutralität wahren zu können, darf er gemäß
Artikel 55 GG weder der Regierung noch einer gesetzgebenden Körperschaft
des Bundes oder eines Landes angehören18
noch darf er ein anderes besoldetes Amt, ein Gewerbe oder einen Beruf
ausüben. Im Interesse einer freien Amtsführung genießt der Bundespräsident
die Immunitätsrechte eines Abgeordneten gemäß Artikel 60 Absatz 4
i.V.m. Artikel 46 Absatz 2 bis 4 GG. Das bedeutet, daß er
strafrechtlich nur mit Genehmigung des Bundestages zur Verantwortung
gezogen oder verhaftet werden darf.19
5.
Aufgaben und Befugnisse des Bundespräsidenten
Im Gefüge der obersten Bundesorgane soll der Bundespräsident als
,,unabhängige, ausgleichende Gewalt über den politischen Strömungen"
wirken, als ,,Schlichter von Gegensätzen" und als ,,Wahrer der
Einheit".20 Seine Amtsführung
geht daher weit über den Rahmen bloßer Repräsentationsaufgaben
hinaus. Wenn auch gegenüber der Stellung des Staatsoberhauptes der
Weimarer Republik eine deutliche Schwächung vorgenommen wurde, so
besitzt der Bundespräsident gleichwohl, dieses haben die bisherigen
Amtsträger stets deutlich gemacht21,
vielfältige Möglichkeiten der aktiven Einflußnahme auf das politische
Geschehen. Professor T. Ellwein schreibt dem Staatsoberhaupt auch die
Rolle als ,,Hüter der Politik" zu. Er begründet dies mit der
Feststellung: ,, Die Macht dazu hat er im gesellschaftlich-repräsentativen
wie im formalen Bereich. Zu fragen ist, ob er die Autorität hat. Wie
allenthalben gibt ihm das Amt die Macht..., während er sich die Autorität
selbst erwerben muß. Und dies kann nicht durch Einmischen und durch das
Erteilen von unerbetenen Ratschlägen geschehen. Gefordert sind Präsenz,
Mitdenken, die Bereitschaft, Streitende an einen Tisch zu bringen, in
den Auseinandersetzungen immer wieder die menschliche Würde ins Spiel
zu bringen - kurz : der Bundespräsident hat (...) keine gestaltende
oder leitende, sondern eine pflegende Aufgabe (...).22
Das Grundgesetz weist dem Bundespräsidenten ausdrücklich folgende
Aufgabenbereiche zu:
5.1
Völkerrechtliche Vertretung
Im Rahmen der Völkerrechtlichen Vertretung repräsentiert er als
Staatsoberhaupt die Bundesrepublik nach außen, schließt im Namen des
Bundes Verträge mit auswärtigen Staaten, beglaubigt und empfängt die
Gesandten.23 Staatsverträge,
welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln, bedürfen der
Zustimmung in Form eines Bundesgesetzes (Artikel 59 Absatz 2 GG).
5.2 Staatsrechtliche Funktionen
Die staatsrechtlichen Funktionen des Bundespräsidenten erstrecken sich
auf die Beteiligung an der
i)
gesetzbebenden Gewalt und der
ii) vollziehenden Gewalt.
i) Der Bundespräsident fertigt die vom Bundestag und Bundesrat
beschlossenen Gesetze aus und verkündigt sie im Bundesgesetzblatt
(Artikel 82 GG). Der eigentliche Sinn der Ausfertigung liegt in der
Feststellung, daß das zur Verkündigung bestimmte Gesetz verfassungsmäßig
zustandegekommen ist. Dem Bundespräsidenten muß folgerichtig auch
ein Recht zur Prüfung des ihm vorliegenden Gesetzes zustehen24,
und zwar unabhängig davon, daß auch die zur Gegenzeichnung
aufgerufenen Mitglieder der Bundesregierung Prüfungsrechte und
-pflichten haben und die letztlich entscheidenden Prüfung beim
Bundesverfassungsgericht liegt. Die Prüfungskompetenz des Bundespräsidenten
erstreckt sich unzweifelhaft auf die formelle Verfassungsmäßigkeit,
d.h. auf die Prüfung der Frage, ob das Gesetz dem vom Grundgesetz
vorgeschriebenen Verfahren25
zustandegekommen ist. Nach herrschender Meinung (allerdings nicht
unbestritten) umfaßt das Prüfungsrecht des Bundespräsidenten aber
auch die materielle Verfassungsmäßigkeit. Der Bundespräsident prüft
daher auch die inhaltliche Übereinstimmung des auszufertigenden
Gesetzes mit der Verfassung und kann, wenn er Bedenken hat, die
Ausfertigung verweigern. Dagegen ist nach Artikel 93 Absatz 1 Nummer 1
GG die Anrufung des Bundesverfassungsgerichtes möglich. Einen Präzedenzfall
hierzu lieferte Bundespräsident Heinrich Lübke. Zunächst
verweigerte er seine Unterschrift unter das vom Bundestag am
09.11.1960 beschlossene ,,Gesetz gegen den Betriebs und
Belegschaftshandel", weil dieses nach seiner Auffassung eine
Bevorteilung des Einzelhandels bewirkt und folglich gegen den
Gleichheitsgrundsatz gemäß Artikel 3 GG verstoßen hätte. Das
Gesetz ging an den Bundestag zurück; die stillschweigende Hinnahme
dieses ablehnen Aktes ist bis heute allgemein so bewertet worden, daß
das Parlament ein materielles Prüfungsrecht des Bundespräsidenten
anerkennt.26
Als weitere staatsrechtliche Funktion kann der Bundespräsident den
Bundestag jederzeit einberufen. Das Parlament ist verpflichtet, diesem
Ersuchen zu folgen (Art.39 Abs.3 GG). Ebenfalls kann er den Bundestag
auflösen, allerdings nur in zwei eng begrenzten Fällen: Wenn bei der
Wahl des Bundeskanzlers ein Kandidat auch im dritten Wahlgang nicht
mit der erforderlichen Mehrheit der Mitglieder des Bundestages gewählt
worden ist (Artikel 63 Absatz 4 GG); mithin wenn der Bundeskanzler die
Vertrauensfrage stellt und diese nicht die Mehrheit der Mitglieder des
Bundestages findet (Artikel 68 Absatz 1 GG). Hierbei hat der Bundespräsident
-auf Antrag des Bundeskanzlers- ,,im Rahmen seines Ermessens die
politische Leitentscheidung zu treffen, ob die Auflösung des
Bundestages mit all ihren politische Folgen sinnvoll ist und von ihm
politisch vertreten werden kann".27
Der Bundespräsident kann gemäß Artikel 81 GG auf Antrag der
Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates für eine
Gesetzesvorlage den Gesetzgebungsnotstand erklären.
ii) Der Bundespräsident schlägt dem Bundestag den Bundeskanzler vor
und ernennt ihn nach erfolgter Wahl (Artikel 63 Absatz 1 GG). Da
Artikel 63 Absatz 2 GG bestimmt, daß der Gewählte zu ernennen ist,
obliegt dem Bundespräsidenten insoweit eine verfassungsrechtliche
Verpflichtung. Anders als es die Weimarer Verfassung in § 53 vorsah,
hat unser Staatsoberhaupt grundsätzlich keinen entscheidenden Einfluß
auf die Wahl des Regierungschefs. Daher wäre eine Ablehnung der
Ernennung eines vom Parlament gewählten Kanzlerkandidaten theoretisch
allenfalls denkbar, wenn sie gesetzes- oder verfassungswidrig wäre.
Eine andere Möglichkeit, die Ernennung zu verweigern, besteht nicht,
es sei denn, der Bundespräsident entscheidet sich, sein Amt zur Verfügung
zu stellen. Der Bundespräsident ernennt und entläßt die
Bundesminister auf Vorschlag des Bundeskanzlers (Artikel 64 GG). Auch
hier stellt sich die Frage, ob und ggf. in welchen Fällen er
berechtigt ist, einen Ernennungsvorschlag abzulehnen. Es bleibt ihm
aber möglich, seine persönliche Autorität und die seines Amtes
beratend oder auch mahnend einzusetzen. Einen aus dem Amt scheidenden
Bundeskanzler oder -minister kann er verpflichten, die Geschäfte bis
zur Ernennung eines Nachfolgers weiterzuführen. Der Bundespräsident
übt für den Einzelfall ein Begnadigungsrecht aus (Artikel 60 Absatz
2 GG). Eine Amnestie ist dagegen nur aufgrund eines
Straffreiheitsgesetzes möglich.28
Der Bundespräsident genehmigt gemäß Artikel 65 GG die Geschäftsordnung
der Bundesregierung, nach der er Anspruch auf laufende Unterstützung
über deren Politik hat. Er ernennt und entläßt die Bundesrichter,
die Bundesbeamten, die Offiziere und Unteroffiziere (Artikel 60 Absatz
1 GG).
Der Bundespräsident verkündet die vom Bundestag (mit Zustimmung des
Bundesrates) oder vom Gemeinsamen Ausschuß getroffene Feststellung
des Verteidigungsfalles (Artikel 115 a Absatz 3 GG), mithin verkündet
er dessen Beendigung. Er verleiht die Titel, Orden und Ehrenzeichen
des Bundes.
5.3
sonstige Aufgaben
Neben der politischen Funktion des Bundespräsidenten fallen in dessen Tätigkeitsbereich
weitere Aufgaben, die er mit Hilfe seines unter der Leitung eines
Staatssekretärs stehenden Amtes (Bundespräsidialamt) wahrnimmt. So zum
Beispiel die Anordnung von Staatsakten und Staatsbegräbnissen, die Übernahme
von Schirmherrschaften, Reisen ins In- und Ausland aus politischen,
kulturell oder wirtschaftlich wesentlichen Anlässen; Unterrichtung der
Öffentlichkeit über die eigenen Tätigkeiten; Bearbeitung von
Petitionen aus der Bevölkerung durch Auskunftserteilung, Weiterleitung
an die zuständigen Stellen oder Hilfe in Notlagen; Glückwunschadressen
oder Beileidsworte in besonderen Fällen; Übernahme von
Ehrenpatenschaften (für jedes 7. Kind der Familie); Gratulation zu
hohen Ehe- und Altersjubiläen.
6.
Beurteilung und Ausschau
Bei den Beratungen über die Einführung eines Staatsoberhauptes bekräftigte
der Parlamentarische Rat die Absicht, auf ,,(...) keinen Fall wieder
ein mit obrigkeitsstaatlich-monarchistischen Kompetenzen versehenes
Staatsoberhaupt im Grundgesetz vorzusehen."29
Allenfalls sollte ihm erhalten bleiben, ,,für kritische Situationen
einfach da zu sein" (Theodor Heuss).30
Eine zeitgeschichtliche Analyse jedoch zeigt, daß dem Amt des
Bundespräsidenten ein besonderer Stellenwert zukommt. Alle bisherigen
Bundespräsidenten haben in der Konsensbildung und Integration eine
wichtige und zunehmend wichtiger werdende Rolle eingenommen. Jäger
begründet dies so : ,,Angesichts des raschen und verwirrenden
Wechsels von Szenen, Themen und Köpfen muß ein Amt an Bedeutung
gewinnen, daß nicht nach den Zwängen der instant politics, des auf
den Augenblick fixierten, des nicht mehr agierenden, sondern nur noch
reagierenden politischen Handels unterliegt."31
Oder Rudzio, der schreibt: ,, In Reden und Ansprachen (...) ist er
frei, kann Populäres oder kaum öffentlich Bestreitbares moralisch
anmahnen, empfehlen oder fordern (...). Er vermag auf diese Weise
allgemeinen Stimmungen Ausdruck zu geben, Popularität gewinnen und
die öffentliche Meinung zu beeinflussen."32
Letztlich kann man schließen mit Scholz, der die zu beobachtende
zunehmende öffentliche Meinung wiedergibt, wenn er schreibt: ,,Das
Amt des Bundespräsidenten behauptet sich neben vier anderen
Bundesorganen, die ein Kollektiv sind -dem Bundestag, dem Bundesrat,
dem Bundesverfassungsgericht und der Bundesregierung. Es ist jeweils
eine Person, und es hat den Charakter der Person, die es bekleidet.
Ein politisches Amt auf Zeit, aber immerhin das höchste im Staate. Es
verdient mehr Beachtung."33
Literaturverzeichnis:
Dohr, Helmut: Staatsbürgerkunde für Polizeibeamte, Hilden 1992
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Korber, Horst: Das Amt des Bundespräsidenten, Sonderdruck der
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Winter, Ingelore M.: Unsere Bundespräsidenten, Von Theodor Heuss bis
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Quellenverzeichnis:
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Neue juristische Wochenschrift, Jahresband 83,München 1986
<>1
Henkel, Joachim und Kunz, Gerhard: Politik - kurz und aktuell, Heft 14,
Der Bundespräsident - Macht und Ohnmacht des Staatsoberhauptes, Berlin
1974, Seite 3 <>2 Winkler, Hans-Joachim:
Der Bundespräsident, Repräsentant oder Politiker, Opladen 1967, Seite
8 <>3 Rausch, Heinz: Der Bundespräsident,
Zugleich eine Darstellung des Staatsoberhauptes in Deutschland seit
1919, München 1979 Seite 31 <>4 ebenda,
Seite 33 <>5 Theodor Eschenburg,: Die
improvisierte Demokratie, München 1963, Seite 52 <>6
Korber, Horst: Das Amt des Bundespräsidenten, Sonderdruck der
Landeszentrale für Politische Bildung, Berlin 1959, Seite 5 <>7
Knöpfle, Franz: Das Amt des Bundespräsidenten in der Bundesrepublik
Deutschland, in: Deutsches Verwaltungsblatt 81/1966, S.713 <>8
zitiert bei Fromme, Karl: Von der Weimarer Verfassung zum Bonner
Grundgesetz, Tübingen 1960, Seite 10 <>9
Korber, Horst: a.a.O., Seite 6 und 7 <>10
Vergleiche Dohr, Helmut: Staatsbürgerkunde für Polizeibeamte, Hilden
1992, Seite 302 f. <>11 Scholz , Günther:
Die Bundespräsidenten, Biographien eines Amtes, 3. Auflage, Bonn 1997,
Seite 5 <>12 staatsrechtlicher Begriff
des ,,pouvoir neutre" <>13 Zitiert
nach Dohr, Helmut: a.a.O. Seite 303 <>14
ebenda <>15 Vergleiche
Maunz-Dürig-Herzog:
Grundgesetz, Kommentar, München 1983, Art.54, Rdnr.11 <>16
Vergleiche Henkel, Joachim: a.a.O., Seite 8 <>17
Vergleiche Maunz-Dürig-Herzog: a.a.O., Art.58, Rdnr.1 <>18
Diese Bestimmung steht allerdings im Gegensatz zur Vorschrift des
Artikel 58 GG, wonach die Vertretung des Bundespräsidenten durch den Präsidenten
des Bundesrates erfolgt, also eines Vertreters der Exekutiven. <>19
Zivilrechtlich kann er jedoch jederzeit in Anspruch genommen werden.
Auch die Zwangsvollstreckung gegen ihn ist möglich. <>20
Maunz-Dürig-Herzog: a.a.O., Artikel 54, Rdnr.4 <>21
siehe hierzu Jäger, Wolfgang: Wer regiert die Deutschen ?
Innenansichten der Parteiendemokratie, Zürich 1994, Seite 182 ff.
<>22 Ellwein, Thomas:Das Regierungssystem
der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1973, Seite 349 <>23
Die Befugnisse zum Vollzug solcher Staatsakte bedeuten jedoch nicht, daß
der Bundespräsident selbstständig Außenpolitik betreiben darf. Er ist
in jedem Fall an die Mitwirkung der Bundesregierung gebunden. Das gilt
sogar für die Annahme oder Ablehnung von an ihn gerichteten Einladungen
zu Staatsbesuchen im Ausland. <>24
Maunz-Dürig-Herzog, a.a.O., Artikel 82 Rdnr.1 ff <>25
zum Beispiel unter Beachtung der Artikel 76, 77 und 78 GG <>26
Henkel, Joachim: a.a.O., Seite 21; Vergleiche hierzu Rudzio, Wolfgang:
Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, 5.Auflage, Opladen
2000, Seite 246: Rudzio sieht den Vorbehalt Lübkes im Verstoß gegen
das Grundrecht der freien Berufswahl (Artikel 12 GG) <>27
Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 16.02.1983, NJW 83, Seite 735
<>28 Die Begnadigung ist ein von der
Verfassung vorgesehener Eingriff der Exekutive in die rechtsprechende
Gewalt; folglich unterliegt sie nicht der gerichtlichen Nachprüfung.
Umstritten ist jedoch die Frage, ob die Gnadenentscheidung der
Gegenzeichnung durch den Justizminister bedarf. Erneut heftig diskutiert
wurde diese Frage 1988, als Bundespräsident Richard von Weizsäcker
eine Begnadigung von zwei zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten
RAF-Tätern in Erwägung zog. <>29
Niclauß,
Karl-Heinz: Demokratiegründung in Westdeutschland, Zur Entstehung der
Bundesrepublik 1945-1949, München 1974, Seite 103 <>30
Theodor Heuss 1948, zitiert bei Pikart, Eberhard: Theodor Heuss und
Konrad Adenauer: Die Rolle des Präsidenten in der Kanzlerdemokratie,
Stuttgart 1976; Seite 39 <>31 Jäger,
Wolfgang: a.a.O. , Seite 182 <>32 Rudzio,
Wolfgang, a.a.O., Seite 348 <>33 Scholz,
Günther: a.a.O., Seite XIV
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